Sie sind auch Blackout-Experte – Ist so ein Szenario mit dieser Coronakrise zu vergleichen?

Die Auswirkungen sind ähnlich gravierend – aber mit dem Unterschied, dass bei einem Blackout sofort alles stillsteht. Bei dieser Pandemie ist zumindest die notwendigste Versorgung weiterhin gewährleistet, aber wir müssen uns auf eine längere Zeit hinweg mit der Krise anfreunden.

Was können wir jetzt tun? Wie können wir uns jetzt zurechtfinden?

Ich appelliere daran, die ausgerufenen Maßnahmen aus Solidarität gegenüber den Mitmenschen umzusetzen: Also soziale Distanz, Schutz der besonders betroffenen Zielgruppen. Es geht nun darum, wichtige Infrastrukturen wie unsere Gesundheitseinrichtungen nicht zu überfordern.

Wir befinden uns erst am Beginn des Lockdowns – das bedeutet: In den kommenden Tagen werden auf Grund der Inkubationszeit noch mehr Menschen erkranken, erst dann wird die Anzahl der Neuerkrankungen zurückgehen. Das ist völlig normal und sollte sie nicht beunruhigen.

Was jeder tun kann: Auf sich, aber auch auf seine soziale Umgebung achten. Durch die Unterstützung im Freundeskreis, aber auch in der Nachbarschaft können wir die Konsequenzen dieser Quarantäne abfedern und die Krisen-Widerstandsfähigkeit erhöhen.

Von welchen Folgen gehen sie aus?

Wir stehen derzeit am Beginn einer Kettenreaktion, in der es längst nicht mehr um die Krankheit alleine geht.

Da sind die wirtschaftlichen Folgen: Quarantäne, Krankenstände und Home-Office treffen viele Unternehmen hart, die globalen Wertschöpfungsketten sind zusätzlich durch die unterbrochenen Lieferketten in Mitleidenschaft gezogen. Gerade KMUs trifft diese Krise besonders hart. Ich gehe von einer massiven Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten aus.

Weiters gehen wir nun auf einen Pflegenotstand zu: Durch die Schließung der Grenzen können viele der über 60.000 Pflegekräfte nicht mehr ins Land, die normalerweise die 24-Stunden-Pflege unserer pflegebedürftigen Familienmitglieder erledigen. Hier ist von einem Tag auf den anderen plötzlich ein Umorganisieren notwendig.

Ich hoffe, dass wir die Gesundheitsversorgung noch lange in einer hohen Qualität aufrechterhalten können. Wir werden sehen, wann wir den Peak der Neuerkrankungen erreichen und welche Auswirkungen es auf unser Gesundheitssystem haben wird. Ich fürchte aber auch, dass wir andere Maßstäbe anwenden müssen, als wir das bisher gewohnt waren.

Und wir dürfen auch nicht die Menschen vergessen, die einfach Angst haben. Wir befinden uns in einer Situation, die sich noch vor ein paar Wochen niemand vorstellen konnte. Das hat natürlich Auswirkungen auf uns, wir machen uns Sorgen: Um unseren Arbeitsplatz, um unsere Familie, um unsere Freunde. Da ist es wichtig, den Kopf und die Zuversicht nicht völlig zu verlieren.

Wir müssen nun in der Krise und ihrer Bewältigung ankommen. Wenn wir schon jetzt die langfristigen Folgen betrachten, können wir rechtzeitig entgegensteuern und die richtigen Maßnahmen setzen. Bei der lokalen Bewältigung dieser Folgeerscheinungen setzen unsere Selbsthilfe-Basen an. Sie stärken den Zusammenhalt und die Widerstandskraft der Regionen, und legen den Grundstein, um die Folgeschäden abzufedern. Die Regionen sind auf diese Krisenbewältigung allerdings nicht vorbereitet, das wird nun in der Krise völlig klar.

Was meinen Sie damit? Gab es Ihrer Meinung nach Versäumnisse?

Es gibt kein funktionierendes Zivilschutz-Konzept, weder auf nationaler, noch auf europäischer Ebene. Die heutigen Bedrohungsszenarien liegen längst nicht mehr in rein militärischen oder terroristischen Gefahren. Sie sind vorwiegend in der Komplexität unserer technischen Systeme sowie in der global vernetzten Wirtschaft und in unserer Abhängigkeit davon zu finden.

Und es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die sich nun rächen: Wir haben in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen Reserven und Redundanzen als totes Kapital angesehen und massiv reduziert. Wie etwa auch beim Bundesheer, wo es heute kaum mehr Handlungsspielräume für Unterstützungseinsätze gibt. Da die Heeresspitäler zu Tode gespart wurden, kann auch keine sanitätsdienstliche Assistenzleistung hochgefahren werden.

Die betroffenen Menschen übernehmen einen wichtigen Teil des Krisenmanagements gerade selbst. Sie koordinieren sich in den sozialen Medien, helfen ihren Mitmenschen. Aber sie reagieren auch mit Hamsterkäufen. Das ist völlig normal – denn sie sind nicht vorbereitet und wissen sich in dieser Situation nicht anders zu helfen. Da wir nicht vorbereitet sind, treffen uns diese Maßnahmen hart und völlig konzeptlos. Daran müssen wir in Zukunft arbeiten: Wir gehen in eine Zeit der Veränderung und hoher Krisengefahr ohne Vorbereitung. Das ist grob fahrlässig.

Wie funktionieren denn diese Selbsthilfe-Basen?

Österreich hat knapp 8,9 Millionen Einwohner. Sie können diese Millionen an Menschen nicht durch die Maßnahmen der Bundesregierung alleine unterstützen. Hier braucht es sowohl eine überregionale Koordinierung und Gesamtsicht, aber auch eine Stabilisierung bottom-up seitens der Gemeinden.

Ziel ist eine großflächige, dezentrale Selbstorganisation, die auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort gezielt eingeht.

Im Zuge eines Sicherheits-Forschungsprojekts haben wir das Konzept der Selbsthilfe-Basen entwickelt. Sie unterstützen die lokale Selbsthilfe in den Regionen. Diese Basen können zum Beispiel in Wahllokalen organisiert werden, aber auch in Vereinszentren oder Lokalen. Es sind Organisationszentren, die zu Fuß erreichbar sein sollten und die Menschen in Notsituationen helfen.

Diese Zentren dienen als Drehscheibe für die kleinen und großen Probleme der Menschen, als Kommunikationszentrale und als Bindeglied zwischen der Bevölkerung und den Einsatzorganisationen. In der Krisenkommunikation sind alle Menschen zur Nachbarschaftshilfe aufgefordert, um die Krisenbewältigung aktiv zu unterstützen. Dadurch werden die Einsatzorganisationen entlastet, diese können sich um Härtefälle kümmern. So könnte jetzt vor Ort ein Pflegenotstand in Familien abgefedert werden.

Durch diese kleinen Strukturen können wir auf die jeweiligen Problemstellungen einer Region fokussieren, die Krisenversorgung sicherstellen und so die größten Folgeschäden entweder gar nicht erst entstehen lassen oder zumindest abfedern.

Wie können wir gestärkt aus der Krise herausgehen?

Die raschen und dynamischen Veränderungen werden von uns viel abverlangen. Es wird viele Menschen geben, die auf die Unterstützung aus ihrer Umgebung angewiesen sein werden. Wenn wir es schaffen, den Menschen, uns gegenseitig Halt und Sicherheit in dieser unsicheren Zeit zu geben, dann gehen wir geeint aus dieser Krise.

Weiters mein Appell an die Verantwortlichen in den Regionen und Gemeinden, noch jetzt an den Strukturen zur Selbsthilfe zu arbeiten. Damit können sie viel Schaden von der Bevölkerung abwenden.

Und dann hoffe ich, dass wir in der Nachbetrachtung aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir haben dringend notwendige Infrastruktur in den vergangenen Jahren aus der reinen Kostenbetrachtung heraus dem Rotstift überlassen. Hier hoffe ich auf ein Umdenken.

Daher ist es jetzt auch wichtig, dass möglichst viele Menschen und Organisationen gleich mit dokumentieren, was gut und was weniger gut funktioniert hat, damit wir bestmöglich daraus lernen können. Nachdem wir von einer längeren Krisenphase reden, muss das unbedingt schriftlich („Einsatz-Tagebuch“) erfolgen. Sonst gehen diese Dinge verloren.